“Trendig gewandert”
Schnee und Eis waren im herben Wetter des Spätwinters längst noch nicht weggetaut, doch die Wanderfreunde des Steigerwaldklubs Gerolzhofen hielt es nicht länger in den Stuben. Und so konnte Wanderführer Siegfried Brendel am Morgen des 18. Februar am traditionellen Treffpunkt um die 30 wanderwillige Frauen und Männer begrüßen, die sich auf Licht und Luft und einiges mehr freuten.
Manchmal zeigt sich ja auf ganz unspektakuläre Weise, dass kein Widerspruch vorliegt, wenn jemand, der „voll“ im aktuellen Trend ist, ebenso reges Interesse an der Vor- und Frühgeschichte seiner Heimatregion haben kann. Beweis: Wanderführer Brendel hatte einen Weg gewählt, zu dessen Merkmalen viel Wasser und viel Geschichtliches gehört. Lag er damit voll im Trend? Mancher mag das bezweifeln; die heimatlich-historische Dimension aber wäre schon mal erwiesen.
Zieht man desweiteren in Betracht, welchen Namen Brendel seiner Wanderung gegeben hatte, verfliegt auch der letzte Zweifel: Bachgeflüster. Man muss sich hier nicht unbedingt an den Pferdeflüsterer erinnert fühlen. Viel beweiskräftiger ist der jüngst oscarprämiierte Film „The Shape of Water“, von Experten mit „Das Flüstern des Wassers“ übersetzt. Und der Clou: Brendel hatte sich zu einem Zeitpunkt für „Bachgeflüster“ entschieden, als von besagtem Hollywood-Film weit und breit noch nichts zu hören und zu sehen war. Chapeau.
Die Wanderstrecke begann in Gerolzhofen entlang der Volkach, bog ab zum Neubaugebiet „hinter“ der Berliner Straße und führte am Freizeitgelände Nützelbachseen vorbei die Weidach entlang nach Süden bis kurz vor Schallfeld. Von dort ging es in Richtung Westen bis an den Rand von Lülsfeld, danach nach Norden das Lülsbachtal entlang nach Frankenwinheim. Dort – angeregt von einem Spanferkelessen mit anschließendem Wirtshaussingen – wuchs die Teilnehmergruppe auf etwa 40 an. Als der Rückweg nach Gerolzhofen geschafft war, hatten die Wanderer rund elf Kilometer zurückgelegt.
Es ging also um reale Gewässer, um die Volkach, den Nützelbach, die Weidach und den Lülsbach. Die Wanderer sollten das Strömen des Wassers vernehmen, und sie sollten aus dem Munde des Wanderführers hören, was sich vor sehr langer Zeit an den genannten Gewässern getan hatte – und dass es dort auch aktuelle Vorgänge gibt. Brendel machte die Wanderer beispielsweise auf die Linearbandkeramik-Funde am Nützelbach und am Lülsbach aufmerksam. Und er berichtete von Funden aus der Latène-Zeit in der Nähe von Frankenwinheim wie auch am Nützelbach in Gerolzhofen.
Bandkeramik ist der kennzeichnende Begriff für einen mitteleuropäischen Kulturkreis der von etwa 5000 bis 1800 v. Chr. dauernden Jungsteinzeit. Er hebt ab auf die bandförmigen Ornamente auf den damaligen Keramikgefäßen. Die Linearbandkeramik ist die älteste Formengruppe; ihr folgte die Stichbandkeramik.
Hauptmerkmal der Latène-Zeit sind die künstlerisch hochstehenden eisernen Waffen, Fibeln und kunstgewerblichen Gegenstände – letztere vielfach auch aus Glas. Träger dieser auf die letzten 500 Jahre v. Chr. zu datierenden Kultur waren fast ausschließlich die Kelten. Ihren Namen verdankt die Latène-Zeit einem bedeutenden Fundort in der Schweiz.
Als die Wandergruppe am westlichen Rand von Schallfeld vorbeikam, wies Brendel auf eine alte Keltensiedlung hin, die dort entdeckt worden war. Doch auch aus neuerer Zeit gab es erfreuliche Tatbestände zu berichten. So sind die Renaturierungsmaßnahmen, wie sie an den Bachläufen der Weidach und des Lülsbachs vorgenommen worden sind, an sich schon positiv zu werten (und wegen ihrer Wasser-Rückhaltefunktion auch nützlich). Darüber hinaus sind dadurch verloren gegangene Lebensräume wieder neu entstanden, so etwa für Biber und Blaukehlchen.
Jochen Ewe